Mit dem Wissen, dass es bis zum Sommer noch eine Weile dauern wird, ist es sogar sinnvoll, sich eine Weile zu verkriechen, oder zumindest das Tempo zu drosseln und mehr Zeit mit der inneren Welt zu verbringen.
Schauen, was (oder wer) bleiben darf und was (oder wer) losgelassen werden kann.
Während der Herbst die Zeit ist um die eigenen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, ist der Winter die Zeit der Selbstbeobachtung.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird der Winter mit Wasser in Verbindung gebracht und Wasser ist auch die am stärksten vorhandene Kraft im Winter, es wird mit Weisheit, Ausdauer und Durchhaltevermögen assoziiert.
Deshalb der Rückzug.
Wasserzeit ist immer auch Eiszeit.
Ohne den Winter und sein zur-Ruhe-Kommen wäre es uns überhaupt nicht möglich, mit neuer Kraft in den Frühling zu gehen. Wir brauchen diese Zeit der inneren Einkehr.
Allerdings vergessen wir in unserer hypermodernen Welt voller Superperformance oft, dass wir keine Maschinen sind, die immer mal ein Update, eine Wartung oder ein bisschen Öl brauchen, sondern Menschen, Wesen der Natur, die genau wie Pflanzen und Tiere dem natürlichen Rhythmus der Erde unterliegen.
Jede Phase des Jahres hat ihren Sinn, ihre eigene Kraft und wer dies versteht, kann dieses Wissen integrieren und im Fluss des Jahres mitschwingen.
Paradoxerweise ist der Dezember (und oft auch der Januar) einer der stressigsten Monate überhaupt und wir gehen im selbst geschaffenen Chaos oft völlig unter.
Mir ging es nicht viel anders.
Nachdem ich am 30. November meinen vorerst letzten Yogakurs unterrichtet habe, habe ich den ganzen Dezember inklusive Weihnachten für das Weihnachtsgeschäft der Firma, in der ich arbeite, durchgearbeitet und bin erstmal richtig krank geworden, was irgendwie klar war… Irgendwas mit dem Hormonsystem plus die blöde Menopause, die sich ankündigt.
Die Medikamente, mit denen ich daraufhin angefangen habe, haben dafür gesorgt dass ich Silvester und Neujahr in Gänze verschlafe und, das ist wirklich positiv, danach so ausgeruht war wie in den letzten Monaten nicht mehr.
Obwohl ich eigentlich viel mehr Eis essen wollte, habe ich nicht mal einen halben Container geschafft während meiner Verpuppung danach, in der ich ja quasi immer noch bin, aber nicht mehr ganz so im Rückzug.
Heute bin ich, mit ein paar Tagen Verspätung, bei Tag neun einer YouTube Yoga Challenge (von Yoga with Adriene), die mich mit Dankbarkeit und Freude in den Anfängermodus zurück zu meinem eigenen Yoga bringt.
Ich meditiere ganz schön viel dafür, dass ich ziemlich lange dachte, dass ich Jahre brauche, um das Konzept zu verstehen.
Und ich setze ich mich, jahrelang mit Essstörungen kämpfend, zum ersten Mal in meinem Leben ernsthaft mit gesunder Ernährung auseinander, mit Portionen und Nährstoffen und der Zusammensetzung einzelner Mahlzeiten.
Dabei lerne ich unter anderem, dass das Gehirn den Großteil der durch die Nahrung aufgenommen Energie benötigt und dass gesunde Ernährung nicht unbedingt heißt, nur Gemüse zu essen.
Und dass man selbst mit veganer Ernährung einen Haufen falsch machen kann, wenn man wie ich die Emotionen die Auswahl der Nahrung bestimmen lässt.
Krank geschrieben zu sein bedeutet auch Zeit zu haben zum Lesen und das ist tatsächlich ein Segen.
Jetzt ist der Januar fast vorbei und es wird so ein bisschen klar, wo die Reise hingeht.
Ich zerbreche mir schon seit einer ganzen Weile den Kopf darüber, wie ich meine Arbeitserfahrung aus zwei Jahrzehnten, meine Mental Health Geschichte, meine Neurodiversität, die Yogalehrerausbildung und die Zeit der Selbständigkeit mitnehmen kann in die Zukunft.
In eine Zukunft, in der stressbedingte Erkrankungen immer mehr zunehmen und in der die Digitalisierung und die Vermischung von Arbeit und Privatem uns vor Herausforderungen stellt, denen wir oft nicht ansatzweise gewachsen sind.
Eine Zukunft, in der Burnout immer weiter auf dem Vormarsch sein wird und für die die Generationen Y und Z vollkommen zu Recht gegen den Vollzeit-Anwesenheitspflicht-Wahnsinn in den Kampf ziehen.
Yoga und ähnliche Tools können da sehr gut helfen, sind aber immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein und beseitigen nicht die Ursachen, sondern versuchen dort anzusetzen wo das schwächste Glied, der Mensch, versucht, etwas für sich zu tun, um seine Umwelt (und die Umstände) zu verändern.
Aber selbst zwei Stunden Yoga am Tag machen einen schlecht bezahlten, seelenlosen Job in einem Unternehmen ohne Wertschätzung und positives Feedback nicht erträglicher.
Dazu kommt der Zustand unserer Welt und die totale Verblendung, mit der die Politik träge und behäbig alle Katastrophen ignoriert.
Und ich habe festgestellt dass die Vorstellung, meinen ohnehin schon in jeder freien Minute lesenden Kopf mit mehr Wissen zu füllen, mich mit Motivation und Freude überflutet.
Und deshalb habe ich nochmal ein Studium angefangen, fast zwanzig Jahre nach meinem ersten Studium, diesmal etwas, was mich wirklich bewegt und mit dem ich wirklich etwas bewegen kann.
Nämlich die Mitgestaltung einer Arbeitswelt der Zukunft, den Bogen schlagen von der Selbstwirksamkeit von, unter anderem, Yoga und Meditation zur Psychologie hinter Veränderung.
Verstehen, wie Gesundheit funktioniert, was das überhaupt ist und welche Faktoren, neben den medizinischen und biologischen, noch eine Rolle spielen.
Denn gerade psychologische und soziale Faktoren erzeugen Stress und Krankheiten.
Das ist etwas, was der einzelne Mensch nicht in der Hand hat, sondern die Gesellschaft, was in Institutionen, in Betrieben, bei Krankenkassen, in den Bildungseinrichtungen und sozialen Trägern gesehen und gefördert werden muss.
Weil wir Menschen eben keine Maschinen sind und weil Menschen nicht alle gleich sind.
Weil Menschen mit oder ohne Beeinträchtigungen, Menschen, die vulnerablen Gruppen angehören, Menschen die neurodivers sind, also deren Gehirne anders funktionieren, z.B. Dyslexiker oder Menschen mit ADHS und Menschen mit Autismus oder Depressionen, anders arbeiten, andere Anforderungen an die Arbeitswelt stellen und anders gefordert und gefördert werden müssen.
Weil die Arbeitswelt mit ihren sich immer schneller verändernden Anforderungen ihrerseits gewappnet sein muss für die Zukunft.
Alles in allem ergibt das einen guten Plan für die nächsten Jahre.
Ab März gibt es dann auch wieder Yoga, erst einmal als Einzelstunden und in Workshops.
Alles andere darf sich zeigen, wenn es soweit ist.
Und wer so gerne liest wie ich, bekommt hier noch ein paar Lesetipps:
Sara Weber, Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten, KiWi, 2023
Kimberley Wilson, How to Build a Healthy Brain, Yellow Kite, 2022