Mittwoch, 01 Dezember 2021 10:44

Ich finde es ist mal an der Zeit ... Featured

...über Depressionen zu sprechen.

Der November ist geschafft und wir schlittern in den nächsten Lockdown. Die Impfpflicht ist ins Spiel gekommen, es ist trübe, kalt, schneeregnerisch, die Löhne hier sind miserabel, die Wertschätzung auch, die Schulen sind mal auf, mal zu, an der Grenze zur Ukraine ziehen die Russen ihre Truppen zusammen, an der Grenze zu Polen erfrieren Migranten, ach ja, und der Klimawandel.

Wer bei all den Nachrichten jetzt frohen Mutes in die Zukunft schaut, Chapeau!

Ich bin Yogalehrerin. Und ich bin depressiv.

Nicht das ganze Jahr und nicht immer gleich schlimm, aber meistens im Winter, wenn der Dezember in den Januar übergeht. Und auch manchmal, wenn es richtig schön ist und warm und alle von Dir erwarten, dass Du fröhlich draußen herumspringst.
Ich habe depressive Phasen, seit ich ein Teenager bin, also schon sehr, sehr lange.
Genauso lange war mir das nicht wirklich bewusst und genauso lange habe ich alles versucht, das zu verstecken, mich zu verstellen, habe gedacht, dass das eine Krankheit ist für Menschen, die ihr Leben nicht im Griff haben.

Eine Menge Therapien und eine Tagesklinik später ist die Depression noch da und fast ein guter Freund, mein schwarzer Hund.

In einem normalen vierzig Stunden Arbeitsleben ist es sehr schwer, mit einer Depression zu leben. Morgens nicht aus dem Bett kommen oder gleich heulen oder auf Arbeit heulen oder nicht zu schlafen und trotzdem früh raus zu müssen, nichts geregelt zu kriegen, immer müde zu sein, mit einer sehr dünnen Haut auf der Seele durch den Tag zu taumeln. Immer wieder krank geschrieben zu sein ist auch nichts, worüber sich Arbeitgeber freuen. Schließlich ist unsere Gesellschaft auf Wachstum, Kampf, vorgetäuschten Optimismus und „höher, schneller, weiter“ ausgerichtet. 

Und nicht zu vergessen Selfcare, Achtsamkeit, die ganze Maschinerie hinter dem Gedanken, dass man nur genug meditieren muss, genug Yoga machen, schön spazieren gehen, immer brav sein Gemüse essen und die Kinder nicht anschreien und alles ist gut. Ein heißes Bad und ein Glas Rotwein am Abend, vielleicht zwei.

 

Manchmal reicht das aber nicht. Denn Depression ist eine Krankheit. Ein Ungleichgewicht in der Hirnchemie. Es gibt unzählige Gründe dafür, an einer Depression zu erkranken, Traumata, hormonelle Veränderungen und so weiter.

Eine Depression verschwindet nicht mit dem richtigen Mantra. Manchmal hilft eine Therapie, manchmal helfen nur Medikamente.

Als ich mit der Yogalehrerausbildung angefangen habe, war ich so sicher, dass mich das jetzt nicht mehr erwischt, weil ich genügend Werkzeuge habe, die Phasen abzuwettern.

Im letzten Winter, gerade selbstständig und gleich im ersten Lockdown, habe ich gelernt, dass das eine Illusion ist. Dass die Phasen trotzdem kommen. Dass ich so um Weihnachten rum gar nicht mehr weiß, wie das geht, fröhlich sein. Dass ich im Januar anfangen wollte zu unterrichten und mich gefragt habe, wie ich das anstellen soll, wenn ich so traurig bin.

 

Dann wäre ich gerne ein Bär und würde umschalten auf Winterschlaf. Mit der Option aufs ganze Jahr. Schlafen ist mein Ding, wenn es mir nicht so gut geht. Ich brauche viel Schlaf. Anderen geht es genau anders herum, sie schlafen gar nicht mehr und wären dann wohl auch gerne ein Bär.

 

Was ich in all den Jahren aber festgestellt habe ist, dass das ganze Verstellen und Verstecken sehr viel Arbeit macht. Und die Depression noch schlimmer.

Deshalb ist es mir ein Anliegen, das herauszuholen aus dem Versteck, offen damit umzugehen, andere zu ermutigen, auch offen damit umzugehen, anderen zu signalisieren, Ihr seid nicht allein damit, wir sind viele, wir sind Yogalehrer und Fitnesstrainer, Ärzte und Kindergärtnerinnen, Angestellte und Handwerker, Mütter und Kinder von Eltern, die nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen.

 

Wenn wir den schwarzen Hund an unsere Seite holen, wird er gesehen. Und, so ist es auch mit unterdrückten Gefühlen wie Wut und Angst, wenn er gesehen wird, zieht er nicht mehr so an der Leine und zerrt uns ins Dunkle.

 

Jetzt ist das hier ja ein Yoga Blog, also kommt unweigerlich der Bezug dazu.

Yoga ist ein Werkzeug. Yoga kann eine Angewohnheit werden, eine Routine im Alltag, die uns nährt und beruhigt und den schwarzen Hund in Schach hält.

Yoga ersetzt keine Therapie. Aber es unterstützt die Therapie.

Meditation genauso. Sich mal ein paar Minuten in einer ruhigen Ecke hinzusetzen und die Augen zuzumachen, mal dem Atem lauschen, mal der Seele Raum geben, mal das Telefon ausschalten, mal so lange sitzen bleiben, bis sich ein bestimmtes Gefühl herauskristallisiert. Das Gefühl dann sein zu lassen und auszuhalten.

Das ist am Anfang verdammt schwer, wird aber bald zu einer warmen Decke, die sich um Dich legt, wenn Du es zulässt.

 

Wichtig ist, mit dem Gedanken zu brechen, dass es uns immer supergut gehen muss.

Das Leben verläuft in Phasen, wie eine Sinuskurve. Es geht rauf und wieder runter.

Das Blöde an ganz oben ist, dass es unweigerlich wieder nach unten geht aber das Gute an ganz unten ist, dass es ganz sicher wieder aufwärts geht.

Die Gewissheit musst Du Dir zu eigen machen.

Es ist auch gut, traurige Phasen zu haben, nörgelige Phasen, müde Phasen, wütende Phasen. Es muss nicht immer eine Depression sein dann, aber wenn, ist es tröstlich zu wissen, dass es gerade eine Phase ist. Eine Phase ist nicht unendlich.

 

Ich als Yogalehrerin in Ranis möchte da sein, da sein für gemeinsames Yoga, im Studio oder per Zoom, da sein für Gespräche und Austausch. Für schöne Gespräche aber auch für traurige oder unangenehme, gerade dann.

Es tut mir sehr gut, dies zu teilen und ich kann die Welt ein bisschen besser machen, wenn ich nur eine Person damit erreiche, die das jetzt ganz besonders braucht.

 

Ich denke, während ich das hier schreibe, an die Menschen, von denen ich weiß, dass sie mit Depressionen kämpfen, und sende ihnen gute Gedanken und ein Stück meines Herzens.

 

Ihr seid so stark, es ist an der Zeit, dass Ihr wisst, wie stark.

 

 

 

Was, wenn ich denke, dass ich depressiv bin?

Sprich mit Deinem Hausarzt, mit Deiner Frauenärztin, mit dem Apotheker, sprich mit Deinem Partner, sprich es im Freundeskreis an, versteck Dich nicht, rede. Auch eine Depressionshotline ist eine gut Anlaufstelle.

Such Dir einen Psychotherapeuten, mach einen Termin für ein Vorgespräch, Du verlierst nichts damit.

Trau Dich, auch mal zu sagen, mir geht es beschissen, wenn Du gefragt wirst, anstelle dem immer gleichen „Danke, gut. Und Dir?“

Manchmal ergibt sich aus dieser Offenheit ein neuer Kontakt, eine Offenbarung, weil es meiner Kollegin oder meiner Freundin oder meinem Arzt (das ist gar nicht so selten) genauso geht, und ich sofort das Gefühl habe, nicht alleine zu sein.

Denn die Depression nährt sich von dem Gefühl, ganz alleine auf der Welt zu sein mit diesem Problem und ohne Ausweg. Teilst Du Dein Gefühl, bist Du nicht mehr alleine.

Trau Dich, hol den schwarzen Hund an Deine Seite.

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