Seit einer Woche...
...ist Krieg in Europa. Ich bin Europäerin und Weltbürgerin. Seit einer Woche bin ich im Herzen auch Ukrainerin.
Ich bin in der DDR aufgewachsen, auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs und habe die Aufrüstung, den kalten Krieg, die erzwungene Freundschaft zur Sowjetunion erlebt. Die Fahnenappelle, den Handgranaten-Weitwurf im Sportunterricht, die Atomübungen, die militärischen Wandertage, die Sirenen, die Indoktrination durch die Lehrer, den sogenannten Tag des Weltfriedens, der nur dazu da war, uns Kindern monatelang einen namenlosen Schrecken vor einem Atomkrieg in den Nacken zu setzen, der Ami mit der zitternden Hand auf dem einen roten Knopf. Darüber gesprochen wurde nie konstruktiv, der Fokus lag klar auf Angst vor dem Feind.
Im März 1985 war ich in Cottbus in der Schule und habe erlebt, wie ein russischer Kampfjet haarscharf an unserer Schule, an meinem Klassenzimmer vorbei ins Nebengebäude gestürzt und explodiert ist. Ich hatte sehr, sehr viel Glück an diesem Tag. Der Vorfall wurde totgeschwiegen und hat mir ein jahrelanges Trauma beschert. Für mich war das der Beginn des dritten Weltkriegs und ich bin lange blind weggerannt, sobald ein Jet über den Himmel gedonnert ist. Ich habe ewig geträumt, der Atomkrieg beginnt und ich bin mittendrin.
Ich habe meine Kindheitsjahre also in der ständigen Angst vor einem (Atom-)Krieg verbracht und diese Angst kommt jetzt wieder hoch.
Ich weiß um die Absurdität der Tatsache, dass immer, überall auf der Welt irgendwo Krieg ist, Schrecken, Gewalt und Terror, ich weiß dass, je weiter der Krieg weg ist, umso weiter weg ist der Bezug zur eigenen Realität.
Dass es diesmal anders ist, ist sehr verstörend. Die Tatsache, dass eine Million Europäer auf der Flucht sind vor einem Mann, der einem Volk vorsteht, was mir trotzdem sehr am Herzen liegt. Nach dem Schrecken von Jugoslawien und dem seit Jahren andauernden Schrecken von Afghanistan und von Syrien rückt die Sicherheit einer vereinten Welt in weite Ferne.
Das in Worte zu fassen, ist schwer und damit umzugehen, noch schwerer. Nach dem Schock der ersten Tage beginnt jetzt das Handeln. Spenden, Posts Teilen, Kontakte zu Hilfsorganisationen knüpfen, Sammeln von Sachspenden. Ich kann mein Haus aufmachen für Flüchtlinge und tue das auch.
Als Yogalehrer sollte ich eine Antwort haben auf die aktuelle Situation, aber ich bin ziemlich fassungslos und auch ratlos und der buddhistische Ansatz der Bewusstseinslenkung auf den Frieden fühlt sich manchmal schal an. Das Wissen, dass Menschen ein paar hundert Kilometer entfernt mit dem, was sie am Leib tragen, auf der Flucht sind, die reale Gefahr, dass der Krieg auch Deutschland erreicht oder bereits erreicht hat, die drohende Gefahr eines Vorfalls in einem ukrainischen AKW.
Wie also umgehen mit einer so schwer greifbaren Situation, wie die Ruhe bewahren?
Wie können wir es schaffen, die Situation subjektiv zu bewerten, ohne darin zu verharren? Wie auf so eine Situation reagieren?
In meinem vorigen Berufsleben habe ich im Export unter anderem die ehemaligen Sowjetrepubliken betreut und damit auch Russland, die Ukraine, Weißrussland und Georgien. Ich kenne und verstehe die Völker und hatte dort Kollegen und habe Freunde, die von dort kommen oder dort leben. Die Situation mit Russland als Kriegstreiber flammt jetzt in Europa auf, ist aber keineswegs überraschend. Zuerst einmal gibt es keinen „Feind“ im Sinne des russischen Volkes. Der Feind ist ein Clan mächtiger, machthungriger Männer, die seit Jahrzehnten Strategien verfolgen, die jetzt deutlich werden. Die Menschen in Russland haben Angst, so wie wir in der DDR Angst hatten, und ganz und gar zu Recht. Der kleine Mann im Kreml, nicht unähnlich dem kleinen Mann in Berlin vor 80 Jahren, hat zwar nicht völlig den Verstand verloren, ist aber jenseits aller Realität und dem Grössenwahn verfallen.
Nach einer trügerischen Zeit des Friedens, in der der (Rechts-)Populismus massiv an Stärke gewonnen hat, und zwar überall auf der Welt, sind wir jetzt wieder an einem Punkt, Haltung zu zeigen. Nicht für oder gegen ein Land, sondern für den Frieden.
Zu zeigen, dass wir keinen Bock haben auf Diktatur, (männliche) Autokratie, Kriegstreiberei und falsch verstandene Ehre, auf Gezanke um Territorien oder Grenzen. Keinen Bock auf Aufrüstung und auf Milliarden neuer Rüstungsausgaben, ein Zeichen zu setzen für Verständnis und Solidarität. Auf eine friedliche Weise zu demonstrieren, dass wir viele sind, dass wir füreinander einstehen und für eine friedliche Welt. Der Ukraine und den Ukrainern zur Seite zu stehen und dennoch nicht dem russischen Volk den Rücken zuzukehren.
Hier kommt dann doch der Buddhismus und der hinduistische Gedanke des Einsseins zum Tragen. Niemand von uns ist isoliert, wir sind alle Teil einer Welt, eines Universums.
Das Gefühl des getrennt Seins schafft Einsamkeit, Unverständnis, Krieg und Elend. Das Leid dieser Welt gründet in dem Gefühl des getrennt Seins vom Anderen. Getrennt Sein schafft Misstrauen, Distanz, falsche Annahmen über mein Gegenüber, die Illusion vom Ego.
Praktisch bedeutet das aktuell, seinen Geist frei zu machen von Zuschreibungen, Anhaftungen, Bewertungen und in den inneren Kern des Wesens vorzudringen und zu schauen, was diesen Kern ausmacht. Frei von Einfluss, frei von Namen, Beruf, Herkunft oder Widerstand.
Dann kommt ein Verständnis von Seele, die bei jedem von uns dieselbe ist und Teil des Ur-Bewusstseins. Kommt man dahin, stellt man fest, dass es dort nichts als Frieden gibt. Frieden ist der Urzustand und wird verkörpert durch Einheit.
Das mag sich jetzt als Geschwafel anhören, es lohnt sich aber, dort mal hinzuschauen. Gerade in dieser Situation, um all die Nachrichten verarbeiten zu können. Um eine gesunde Distanz herstellen zu können zu „wir“ und „die“.
Es gibt keinen „richtigen“ Umgang mit Krieg. Wir können aber ein paar Dinge tun, die uns aus der eigenen Hilflosigkeit herausholen.
- Informiere Dich, unabhängig und vielseitig. Bleibe bei sachlichen Quellen, vermeide Polemik und bewusste Dramatisierung. Sei vorsichtig mit Social Media.
- Akzeptanz der eigenen Überforderung. Das ist nichts, wofür Du Dich schämen musst, es ist jetzt so und das darf sein. Die Annahme dessen macht den ersten Schritt aus der Ohnmacht.
- Hilf. Spende Geld, sammle Spenden, melde Dich und stelle ein Zimmer zur Verfügung.
- Vernetze Dich. Halte, wenn Du sie hast, Kontakte zu Menschen in der Ukraine und in Russland, suche den Kontakt mit anderen Menschen, tausche Dich aus.
- Sei Dir sicher dass Du etwas tun kannst, dass Du etwas ausrichten kannst, dass Dein Beitrag etwas zählt.
- Bleibe offen, im Geist und in der Seele, bleib bei Deinem Glauben.
- Erkenne Selbstmitleid und werde Dir bewusst, dass Du damit nichts erreichst.
Das, wenn es das in so einer Situation überhaupt gibt, Positive an der Lage ist die überwältigende Solidarität, die Demonstrationen, der Zusammenhalt der Welt, der (fast kompletten) Vereinten Nationen und sogar der Vereinigten Staaten in ihrer Zerrissenheit. Die Welt wird sich ihrer Einigkeit ein Stückchen bewusster. Das macht Kraft und gibt Hoffnung.
Hoffnung ist etwas zutiefst Menschliches und je mehr wir sind, umso mehr lebt sie auf.
In diesem Sinne wünsche ich jedem Einzelnen von uns eine Realität des Zusammenhalts, eine Reise in den Frieden und Verbundenheit aller Seelen.
Namaste